Der Hype um Napolis und Italiens neue Fußball-Hoffnung ist groß. Trotzdem bleibt Lorenzo Insigne bescheiden, geerdet durch Eltern und vier Brüder - mit denen er bis vor Kurzem auf engstem Raum lebte - sowie behutsam aufgebaut durch den Trainer. sportal.de über eine Art Anti-Balotelli
Am Silvesternachmittag hatte Patrizia Insigne wohl einige Tränen verdrücken müssen. Tränen der Rührung und Freude über die Hochzeit ihres Sohnes und seiner Jenny, Tränen der Dankbarkeit, für ein aus Sicht von Lorenzo mit regelmäßiger Serie A-Präsenz und Nationalmannschaftsdebüt sportlich hervorragend verlaufenes Jahr 2012, aber wohl auch Tränen der Trauer. Trauer darüber, dass Lorenzo langsam aber sicher erwachsen und endgültig Mamas Schoß verlassen wird.
Im Sommer, als der zunächst nach Cavese und Foggia, dann Pescara ausgeliehene 21-jährige Offensivspieler zu Napoli zurückgekehrt war, um einen Vertrag bis 2017 zu unterschreiben, hatte seine überglückliche Mutter der italienischen Presse noch stolz verkündet: "Er wird wieder bei uns wohnen. Endlich ist sein Platz am Tisch nicht mehr leer." Eine italienische Mama ist nun einmal nicht glücklich, wenn sie ihre Söhne nicht um sich hat und permanent mit Essen vollstopfen kann.
Als Kind war er eher untersetzt gewesen, hatte "immer mit irgendwas den Mund voll, aber immer einen Ball am Fuß", berichten italienische Medien. Mittlerweile achtet Insigne aber auf seine Ernährung, hat Idealgewicht. Daran konnte auch die Zeit als "Mammone", wie man in Italien junge männliche Erwachsene nennt, die noch oben bei Mutti wohnen, nichts ändern. Vielleicht war sie aber auch einfach nur zu kurz.
Leben in bescheidenen Verhältnissen
Im April erwarten Lorenzo und Jenny ihr erstes Kind. Spätestens dann wäre die gerade einmal 60 Quadratmeter-Wohnung, in der Lorenzo mit den Eltern und seinen Brüdern seit Sommer wieder lebte, ohnehin zu klein. Die Wohnbedingungen wären für die kleine Familie dann nicht mehr tragbar gewesen. "Abends verwandeln wir das Wohnzimmer in einen Schlafsaal, bauen die Betten für die Kinder auf", beschrieb Mama Insigne im Corriere della Sera das beengte Zusammenleben in Frattamaggiore, einem kleinen Ort nahe Neapel. "Zusammen geht es uns gut. Wir sind zufrieden."
Die Insignes ändern nicht gleich ihren Lebensstil, nur weil der Sohn mittlerweile gut verdient. "Ich lass mich doch nicht von Lorenzo aushalten, erklärte Vater Carmine. Lieber hält er sich immer noch mit kleinen Gelegenheitsjobs über Wasser, als seinen Sprössling um Geld anzupumpen. Bescheidenheit, Bodenständigkeit, aber auch Stolz zeichnen die Familie aus.
Die Werte seiner Familie helfen Insigne auf dem Platz
An der Wohnungstür hängt ein Messingschild mit der Inschrift "Insigna" - ein Geschenk von Lorenzos Großvaters väterlicherseits. Der hatte das Türschild einst in Auftrag gegeben, als Analphabet den Fehler des Graveurs jedoch nicht bemerkt. "Aus Respekt haben wir es trotzdem angebracht", erklärte Patrizia. Respekt, Bescheidenheit, aber vor allem familiärer Zusammenhalt sind die Werte, die sie Lorenzo und seinen drei Brüdern von klein auf vermittelt hatte und die diese bewahrt haben.
Als der Vater seinen Job in einer Schuhfabrik verlor, nahmen die Großeltern mütterlicherseits die Familie auf, unterstützen sie finanziell. Auch Lorenzo trug früh zum Unterhalt der Familie bei, mit Aushilfsjobs auf dem Markt. Vom ersten Überschuss kaufte er sich und seinem Bruder ein Paar Ronaldo-Fußballschuhe. Einer für alle, alle für einen - eine Tugend, die ihm auch auf dem Fußballplatz zugute kommt und ihn auszeichnet.
"Er spielt sehr teamorientiert und in taktischer Hinsicht mannschaftsdienlich", erklärte Nationalcoach Cesare Prandelli, warum er ihn schon nach wenigen Serie A-Einsätzen in die Squadra Azzurra berief, wo er gleich beim Debüt ein Tor schoss. Mittlerweile wird man sich bei Inter und Torino ärgern, dass die Clubscouts Insigne ihn einst wegen seiner geringen Größe ausgelacht auf eine Verpflichtung verzichtet hatten und er in der Jugend bei Napoli landete. Dort stach er trotz seiner 1,63 Meter Körpergröße heraus und fiel Cavese-Sportdirektor Peppino Pavone auf, der ihn auslieh und später mit zu Foggia nahm, wo ihn Trainerlegende Zdenek Zeman unter seine Fittiche nahm.
Zeman förderte sein Talent
Dem kettenrauchenden Tschechen gefiel der unermüdliche Einsatz, die technischen Grundfähigkeiten, die er durch Nikotinwolke sah, und förderte Insigne weiter, vermittelte ihm vor allem Selbstvertrauen sich trotz seiner nur 1,63 Meter Körpergröße auch gegen größere Spieler behaupten zu können. Das Vertrauen des Coaches, die offensive Spielweise, die fast völlige Befreiung von Defensivaufgaben - all das kam Insigne entgegen, in der Prima Divisione B erzielte er in 33 Spielen 19 Tore und wurde von Zeman mit in die Serie B zu Pescara genommen.
Auch hier führte sich Insigne perfekt ein, trug mit 18 Toren und 14 Vorlagen erheblich zum Meistertitel und Aufstieg bei. Gerne hätte Zeman ihn vor dieser Saison auch noch mit zur Roma genommen. Doch Napoli legte sein Veto ein. Walter Mazzarri brauchte den pfeilschnellen, dribbel- und passstarken Spieler mit dem guten Auge für den Nebenmann als Ersatz für den zu Paris St. Germain gewechselten Ezequiel Lavezzi.
Insigne unter Mazzarri behutsam gefördert
Ziemlich große Fußstapfen für einen Serie A-Neuling. Die Umstellung auf die höchste Spielklasse fiel Insigne aber leichter als gedacht. Teamkollege Christian Maggio erklärte laut sidefootfinish.com: "Ich war vor allem von seiner Einstellung beeindruckt. Er ist zwar jung, aber trotzdem voll auf den Job konzentriert, trainiert hart und hört dem Trainer genau zu."
Zielstrebigkeit ist eine weitere Eigenschaft, die seine Eltern ihm beibrachten. In der Schule legte er sie nicht an den Tag. Aber die Familie liebt den Fußball, hat ihn in den Genen. Alle Brüder spielen, der jüngere Roberto sogar in der Jugend von Napoli. Auch die Eltern traten gerne gegen den Ball. Akribisch verfolgte Lorenzo daher das Ziel, Profifußballer zu werden. Mazzarri geht seine Weiterentwicklung behutsam an - gibt wohldosiert Zuckerbrot und Peitsche. Der Trainer ließ ihn zwar in allen 21 Saisonspielen zum Einsatz kommen, elfmal allerdings nur als Einwechselspieler, achtmal nahm er ihn vorzeitig runter.
Zudem versucht er, ihn mit dosierter Kritik weiter zu pushen. Am Wochenende hatte er ihn beispielsweise öffentlich gerügt, weil er beim 1:1 gegen Fiorentina statt den besser postierten Pandev zu bedienen auf Cavani gepasst und so statt einer Torchance einen eigenen Ballverlust eingeleitet hatte. Der Leistung von Insigne kommt diese Art der Behandlung zugute, wie seine bisher vier Tore und vier Assists zeigen. Er stachelt ihn dadurch nicht nur an, sondern hält ihn auch gleichzeitig auf dem Boden, damit er sich auf seine sportliche Weiterentwicklung zum dauerhaften Leistungsträger in Club und Nationalteam entwickeln kann.
Mama und Papa halten ihn auf dem Boden
Allerdings dürfte die Gefahr abzuheben bei ihm ohnehin relativ gering sein. Dazu ist er durch seinen familiären Background viel zu geerdet. Obwohl er volljährig ist, sein eigenes Geld verdient, sogar in der Nationalmannschaft spielt, fragt er immer noch um Erlaubnis, wenn er sich etwas kaufen will, verriet sein ältester Bruder Antonio der Gazzetta dello Sport. "Sag mal Papa, darf ich mir das neue Iphone kaufen?" Ob Mario Balotelli das auch tut?
Das dürfte sich zwar ändern, wenn er nicht mehr zu Hause wohnt und den nächsten Schritt zum Erwachsen werden vollzieht, nicht aber die Kontrolle von Mama Patrizia verliert. Die wird, sobald die Tränen getrocknet sind, Lorenzo nicht nur auf dem Fußballplatz wieder genau im Auge haben und aufpassen, dass er nicht durchdreht und sich die hoffnungsvolle Karriere durch Extravaganzen versaut. "Ich habe immer genau auf ihn geachtet", erklärte Patrizia tuttonapoli.net, drohte aber gleichzeitig wie eine typische italienische Mama mit dem verbalen Nudelholz: "Wehe dem, der es wagt, ihn zu kritisieren."