
"Das hat mit Fußball nichts zu tun!", sagt der Kommentator gerne, wenn es hell wird in der Kurve. Wir wollen uns aber nicht blenden lassen, sondern versuchen, in der aktuellen Debatte um Fans und ihre Regelverletzungen die gewalttätige Spreu vom bengalischen Weizen zu trennen.
"Im Internet sollen die Ultras zu Bengalo-Einsatz aufgerufen haben. Die Vereine reagieren geschockt". Dresden? Nein. Die Lünener Regionalausgabe der Ruhrnachrichten vor dem Kreisligaspiel Westfalia Wethmar - Blau-Weiß Alstedde an diesem Sonntag. Die Vorberichterstattung über das Amateurspiel, bei dem die Ultras aus Wethmar "im Facebook" (Polizei Lünen) Bengalos angekündigt haben sollen, bietet den perfekten Schlusspunkt einer Woche, in der im deutschen Fußball landauf, landab über Fangewalt, Krawalle und Pyrotechnik gesprochen wurde.
Sowohl in der Regionalpresse wie auch im WDR-Fernsehen (Lokalzeit Dortmund) war zuvor das Standardrepertoire des deutschen Empörungsjournalismus abgespult worden ("sogenannte Fans", Ankündigung von Bengalos = "Aufruf zu Gewalt und Krawall"). Das Ergebnis des nun als Hochsicherheitsevent firmierenden Neuntligaspiels stand dann auch in der Nachberichterstattung etwas im Schatten der Meldung, dass "alles friedlich" geblieben sei. Dafür sorgten die anwesenden Sicherheitskräfte unter anderem dadurch, dass einigen der 800 Zuschauer sogar Wunderkerzen abgenommen wurden, wie Augenzeugen berichten.
In ebenso lustiger wie beklemmender Weise spiegelt diese Provinzposse die Automatismen, die in den meisten Medien angeworfen werden, sobald bengalische Feuer auf den Fernsehbildschirmen zu sehen sind.
Differenzierende Stimmen - rar gesät
Dabei gab es in den letzten Wochen durchaus Unterschiede zu beobachten, wenn es um bengalische Feuer in den deutschen Stadien ging. ZDF-Kommentator Oliver Schmidt etwa bekannte beim Länderspiel Deutschland - Belgien, er habe nichts gegen Pyrotechnik, solange sie verantwortungsvoll gehandhabt werde. Auch legten sowohl BVB-Trainer Jürgen Klopp als auch der Mainzer Manager Christian Heidel Wert darauf, zwischen dem Einsatz von Bengalos und Gewalt zu unterscheiden.
Die komplette Abwesenheit solcher Abgrenzungen im Mainstreamjournalismus ist von der Journalistin Nicole Selmer im Blog Publikative.org gut dargelegt worden. Die Frage bleibt dennoch, was genau der Grund für die allgegenwärtige Gleichsetzung von Pyrotechnik und "schweren Ausschreitungen" ist.
Die Behauptung der meisten Protagonisten in der Debatte lautet in etwa, es gebe "immer mehr" Fangewalt in den Stadien. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich verstieg sich gar am Wochenende in der Sportschau zu der Behauptung: "Der Fußball ist immer eine Sache für die Familie gewesen", und das solle auch so bleiben. Völlig unabhängig von der Meinung zur Pyrotechnik stimmt das so natürlich überhaupt nicht. Keineswegs waren die Stadien früher friedliche Freizeiträume für Mutter und Kind.
"Immer mehr Gewalt"? - wohl kaum
Der Besuch von Fußballspielen war nämlich eine fast ausschließlich männliche Angelegenheit, wie jeder bezeugen kann, der vor 1990 schon mal ein Bundesligastadion besucht hat. Auch ist der Gebrauch von Pyrotechnik alles andere als eine neue Entwicklung. Früher fand man das nur nicht so schlimm wie heute.
Nick Hornbys autobiographisches Buch "Fever Pitch" von 1992 bietet einige aufschlussreiche Passagen darüber, was es in England in den 1970er Jahren bedeutete, als Jugendlicher zum Fußball zu gehen. Man musste sich, so Hornby, im Fanblock strategisch klug positionieren, um flüchten zu können, wenn Fans der Gastmannschaft den Block stürmten, was regelmäßig vorkam.
In deutschen Stadien mag es nicht ganz so extrem gewesen sein, aber "weniger Gewalt" gab es im Kosmos des Fußballs sicherlich nicht. Was es heute jedenfalls kaum gibt, ist offene Gewalt gegen Menschen im Innenraum von Profistadien. Das macht Vorkommnisse wie die Angriffe von Fans des BFC Dynamo im Pokalspiel gegen Kaiserslauterer Auswärtsfans um so ungewohnter und verstörender.